Das Recht der Erfahrungsseelenkunde. Der Pitaval als Milieu- und Prozessliteratur zwischen 1730 und 1840
Als ‚Pitavalgeschichten‘ werden nach dem Gattungsbegründer François Gayot de Pitaval literarisierte Prozessbeschreibungen verstanden, die in Sammlungsverbünden veröffentlicht und europaweit breit rezipiert werden u. a. durch Friedrich Schiller. Im Rahmen des Münsteraner Sonderforschungsbereichs ‚Recht und Literatur‘ untersuche ich die ‚Pitavalgeschichten‘ als Sonderfall juristischer Fallgeschichten, den Pitaval als materialen ‚Buchtyp‘ sowie die ideengeschichtlichen Voraussetzungen einer literarischen Beschäftigung mit Delinquenz.
Bereits erschienen:
»‚Pourquoi non?‘ Rezipientinnen als Richterinnen in den Causes célèbres«.
»Materialisierte Gerichtsverfahren: Der Prozess der Vergegenständlichung historischer Akten in Pitavalgeschichten zwischen law in literature und material philology«.
»Vergnügen an gerechter Strafe: Poetische Gerechtigkeit und Strafrecht in Pitavalgeschichten«.
»Alternative Fakten: Pitavals Histoire de Frillet und die Frage der Perspektive«.
»Profil einer Mörderin: Charakterzeichnung der Marquise de Brinvilliers in Recht und Literatur«.
»Auch Justitia dichtet. Zur Konstruktion des Verbrechens in der Geschichte des Marquis de la Pivardiere«.
»Serapiontische Kriminalrelation. Julius Eduard Hitzig als Hoffmanns Erzähler von Doge und Dogaresse«.
»True Crime. Inszenierte Gerichtsreportage im Fernsehpitaval der DDR«.
Art. »Pitavalgeschichte«.
Zs. mit Eric Achermann, Kathrin Löhr und Peter Oestmann: Art. »Pitaval/Causes célèbres«.
Im Erscheinen:
»Der wahrscheinlichste Martin Guerre. Identitätsbeweise in Recht, Literatur und Feuilleton«.
»Gattungskonvention und Heteronomie. Zur intentionsadäquaten Interpretation von Böhmermanns Schmähkritik und der Pitavalgeschichte des Rechtsstreits zwischen Saurin und Rousseau«.
»Gelegenheit macht Liebe. Nekrophilie in Strafrecht und Literatur«.
»Den Causes célèbres auf der Spur: Neudeutung von Ordnungsstörung auf den Nachtseiten der Gesellschaft«.
In Vorbereitung:
Zs. mit Eric Achermann und Peter Oestmann: In dubio. Zweifel vor Gericht im Pitaval.
Zs. mit Eric Achermann: Zur Geschichte der europäischen Kriminalliteratur vor der Detektivgeschichte.
Zs. mit Melanie Foik: Pitaval im Sozialismus. DDR – Volksrepublik Polen.
Prävention und Fürsorge. Die Gute Policey zwischen Sicherheit und Freiheit, Utopie und Dystopie
Naturrechtlich ist der einzelne Mensch verpflichtet, mit anderen in Gesellschaft zu treten, da nur gemeinsam die angestrebte Vervollkommnung zu erreichen ist. Mit >Guter Policey< wird das allumfassende Ordnungskonzept des absolutistischen Staates bezeichnet, das den Einwohnern mit Sicherheit und Wohlfahrt dafür die Voraussetzungen schaffen soll. Das Spektrum reicht von grundlegenden Maßnahmen der Peuplierung über die Sicherstellung der Grundversorgung bis hin zu vorbeugenden Einzelmaßnahmen wie der Einrichtung einer nächtlichen Straßenbeleuchtung oder der Verpflichtung der Bürger zu einer Kehrwoche. Die in der Nachfolge Christian Wolffs zunächst allgemein staats- dann konkret polizeiwissenschaftlichen Schriften sind eng verwandt mit utopischen Idealstaatsentwürfen. Die aus einem modernen Blickwickel überregulierend erscheinende Fürsorge demonstriert vor dem Hintergrund des Naturrechts nur die Ernsthaftigkeit eines Staates, der den einen Bürger vor Willkür, Missbrauch, Bosheit und Skandal gerade des anderen Bürgers schützen möchte. Die Lizenzen der Fürsorgepflicht haben im Ideal eine maximale Reichweite. Da Gute Policey Gute Bürger braucht, um Staat zu machen, sehen die Ordnungen, Traktate, Lehrbücher, Dissertationen etc. mit großer Regelmäßigkeit auch Maßnahmen staatlicher Erziehung und Sittenbildung vor. Hier werden die Literatur und insbesondere das Theater als >Schule der Sitten< von staatlicher Seite in die Pflicht genommen.
Bereits erschienen:
»Das alles durchdringende Auge: Schiller imaginiert den Polizeistaat«.
»Spuren der Zukunft. Das Indizienparadigma und die Generalprävention«.
Im Erscheinen:
»Morden, um selig zu sterben. Kleins Merkwürdige Rechtsfälle und ihre Funktion bei der Verbreitung des Preußischen Allgemeinen Landrechts«.
»Gelegenheit macht Liebe. Nekrophilie in Strafrecht und Literatur«.
»Der entsetzliche Desgrais: Vernünftige Verstellung bei der polizeilichen Aufklärung«.
In Vorbereitung:
»Happy Endings. Joseph von Sonnenfels und die Wiener Schaubühne als Schule der Sitten«.
Kathartische Feste. Wirkungsästhetik politischer Entladung im Festspiel des deutschen Kaiserreichs
Historie, Gegenwart und Zukunft sind in einem Festspiel multidimensional zu einem wirkungsästhetischen Gesamtkunstwerk verschränkt. Eingebettet in einen festlichen Rahmen dient es der Selbstvergewisserung und Bestärkung weltanschaulich Gleichgesinnter. Dabei rufen geistliche, höfische, bürgerliche, sozialistische, völkische und genuin kunstbezogene Festspiele unter Einbezug von Mythen, Weltanschauungen und Ängsten eine spannungsreiche Konfliktsituation auf, deren Entladung vorgeführt wird. Im pathetisch aufgeladenen politischen Klima der Kaiserzeit konstituiert sich in diesem kathartischen Prozess dann die eigentliche Gemeinschaft.
Bereits erschienen:
»Patriotischer Unfug: Wernings Festspiel 1870–71 und die Suche des Dürerbunds nach einer vaterländischen Erinnerungskultur«.
»Verbreitungswege und Formgebung sozialistischer Weltanschauung. Friedrich Bosse und die dramatische Abteilung des Leipziger Arbeitervereins«.
»‚Ich war, ich bin, ich werde sein!‘ Permanente Zukunft im sozialistischen Festspiel Ernst Preczangs«.
»Angst vor Anderen Zeiten (1892): Paul Bader und die Diktatur des Proletariats«.
Im Erscheinen:
»Die Medici von Berlin. Mediävalismus auf allerhöchsten Befehl bei Joseph Lauff und Ruggero Leoncavallo«.
In Vorbereitung:
»Ernst von Wildenbruchs Das Hohelied von Weimar und die Entwicklung des kunstbezogenen Festspiels am Weimarer Hoftheater«.
»Ein modernes Geistliches Spiel: Richard von Kraliks Erwartung des Weltgerichtes zwischen katholischer Bußlehre und Festspielkatharsis«.
»Adolf Bartels’ Weimarer Dionysien und das völkisch-nationale Festspiel im deutschen Kaiserreich«.
»Krisen feiern: die Katharsis der Opferrolle«.
Überlieferungsgerechte Interpretation vormoderner Literatur
Vormoderne, literarische Werke ‚überlieferungsgerecht‘ zu interpretieren, erfordert, ihre mediale Gestalt ernst zu nehmen und alle ‚Dimensionen narrativer Sinnstiftung‘ innerhalb des Untersuchungszeitraums in eine Deutung einzubeziehen: namentlich textuelle, paratextuelle und strukturelle. Ich untersuche Prosaromane, Tierepen und andere longseller der Frühneuzeit unter Berücksichtigung ihrer konkreten medialen Form. Dies schließt neben dem Ausgangstext eines Autors auch die Arbeit von Druckerverlegern, Holzschneidern und anderen Überlieferungsbeteiligten in eine ‚überlieferungsgerechte Interpretation‘ ein.
Bereits erschienen:
Dimensionen narrativer Sinnstiftung im frühneuhochdeutschen Prosaroman. Textgeschichtliche Interpretation von ‚Fortunatus‘ und ‚Herzog Ernst‘.
»(Para-)Textuelle Werkrevision. Konsequenzen einer Literaturgeschichte als Überlieferungsgeschichte«.
»Reframing. Mitüberüberlieferung als ‚anderserzählende‘ literarische Rahmung«.
»Herzog Ernsts wachsender Anhang. Strategien (para-)narrativer Wissensvermittlung«.
»Reineke Fuchs und die Buchdruckerkunst. Dimensionalisierung des Tierepos im langen 17. Jahrhundert«.
»Gedenkbuch und Register. Formen individueller Textaneignung in ‚Reineke‘-Drucken des 16. Jahrhunderts«.
Im Erscheinen:
»Anonymus, Reineke Fuchs (‚Barocke Bearbeitung‘) (1650)« (Repertoriumsbeitrag).
In Vorbereitung:
»Eine überlieferungsgerechte Geschichte der deutschen Literatur in der Frühen Nuezeit«.
»Pitaval-Evolution. Genetische Darstellung der Sammlungsgeschichte«.
»Technae aulicae. Reineke Fuchs ins Stammbuch«.